New York - Rom - München

...and she´s every girl you´ve seen in every movie every dame you´ve ever known on late-night TV in her steam and steel is the passion you feel endlessly New York is a woman she´ll make you cry and to her you´re just another guy
- Suzanne Vega

New York is a woman. Auf ihrem 2007 erschienenen Album "Beauty & Crime" singt die amerikanische Musikerin Suzanne Vega von einem jungen Mann aus der Vorstadt, der während eines verlängerten Businesstrips nach New York der Faszination einer schönen Frau aus Manhattan erliegt. Die selbstverständliche Eleganz, die lässige Coolness, die intellektuelle Haltung, aber auch die Verletzlichkeit der New Yorker Frauen haben immer wieder Literaten, Musiker, Filme-macher, Fotografen und Maler interessiert. Figuren wie Holly Golightly aus Truman Capotes "Frühstück bei Tiffany" haben sich ebenso in das kollektive Gedächtnis eingegraben wie Carrie, Samantha, Miranda und Charlotte, die selbstbewussten Karrierefrauen aus der auch hierzulande überaus populären amerikanischen TV-Serie "Sex and the City".

Die Münchner Malerin Charlotte Eschenlohr hat in den letzten Jahren immer wieder die Metropole New York als Aufenthaltsort gewählt, um dort in einem temporären Atelier ihre künstlerische Produktion voranzutreiben. Dabei spielte die Stadt New York mit ihrem schnellen Rhythmus, ihrer Intensität, ihren blitzschnell wechselnden Stimmungen und manchmal auch ihrer sozialen Härte eine große Rolle. Ebenso wichtig waren der Malerin jedoch auch die Begegnungen mit den Menschen der Stadt.

Charlotte Eschenlohr sucht zur Vorbereitung ihrer Malerei unterschiedlichste Orte auf, die sie fotografiert und skizziert. Das können markante Landmarks in der Stadt sein wie die aus schwerem Stahl konstruierte, den East River überspannende Brooklyn Bridge. Oder auch die Schaufensterauslagen eines angesagten Designshops in Soho. Dann wieder aufregende Kunstorte wie das New Museum of Contemporary Art in der Lower East Side. Solche urbanen Highlights wechseln sich im Bilderkosmos der Künstlerin ab mit anderen zunächst eher unspektakulär erscheinenden Alltagsbildern wie etwa einem eingezäunten Vorgarten im Künstlerstadtteil Williamsburg oder einem Chinesen, der auf einer Parkbank Platz genommen hat.

Ein besonders wichtiger Motor für die künstlerische Auseinandersetzung ist für Charlotte Eschenlohr jedoch die Arbeit mit einem weiblichen Modell. Immer wieder entstehen intensive Dialoge zwischen der Malerin und ihren Modellen, die in der Stadt, in der die Künstlerin gerade arbeitet, zu Hause sind. Sie nähert sich ihren Modellen stets spontan, intuitiv und unvoreingenommen. Während der Sitzungen entstehen Fotos, Skizzen, Zeichnungen, Collagen und manchmal auch sofort schon Gemälde.

Charlotte Eschenlohr hat in den letzten Jahren während mehrerer New York-Aufenthalte eine ganze Reihe von Gemälden produziert, auf denen die moderne, selbstbestimmte und attraktive Großstadtfrau als zeitgemäß-eigenverantwortliche Protagonistin erschien. Dieser Werkkomplex mündete jetzt in einen vielteiligen Block, in welchem sie die Auseinandersetzung mit der Metropole, das Frauenbild in der Stadt New York und die Selbstreflexion über ihre eigene Präsenz in der Stadt am Hudson River zu einem komplexen All-Over verdichtet.

Das in den Jahren 2008-2009 entstandene Hauptwerk "New York Patterns" besteht aus 22 Holzplatten in den Abmessungen 110 x 78 cm. Diese sind mit aufgeklebten Fotografien versehen, welche dann später übermalt wurden. Die Fotos machte Charlotte Eschenlohr während ihrer Streifzüge durch New York selbst. Jedes einzelne Bild besteht in seiner Grundschicht aus einem sich wiederholenden Fotoraster. Diese Raster setzen sich mal aus neun, aus zwölf, 15 oder 16 identischen Fotos zusammen. Serielles Vorgehen und ein sich abwechselnder Rhythmus bestimmen die Gliederung des Blocks und machen ihn so lebendig. Dieser aus vielen Mosaikstückchen komponierte Bilderteppich besteht aus komplexen Schichtungen, übermalten Kommentierungen und dem lebhaften Nebeneinander von Motiven, die sich teilweise aus früheren Bildern der Künstlerin speisen. Auf diesem kleinteiligen Fond platziert die Malerin ihre Protagonistinnen, einen Frauentyp, wie er auf vielen ihrer Gemälde zu finden ist: die unverkrampft posierende und agierende Großstadtfrau als Aktmodell. Mal trägt sie lässige Accessoires wie einen Cowboyhut, mal gibt sie die lesende Intellektuelle mit einer aufgeschlagenen Zeitung in der Hand, dann wieder sieht man ihre fetischartig zur Schau getragenen High Heels.

Die Auseinandersetzung mit dem weiblichen Aktmodell hat in der Kunstgeschichte eine lange Tradition. Über die komplizierte Beziehung zwischen dem männlichen Maler und seinem weiblichen Modell ist viel publiziert worden. Ob Henri Toulouse-Lautrec, Ernst Ludwig Kirchner oder Pablo Picasso - die Liste der Maler, die intensiv mit Aktmodellen arbeiteten, ließe sich über die Jahrhunderte hinweg endlos fortsetzen. Wirft man aber einen Blick auf die wenigen weiblichen Künstler, in deren Werk der weibliche Akt eine große Rolle spielt, so stellt man fest, dass die Arbeitsweise von Charlotte Eschenlohr nicht allzu viele Vorläuferinnen hat. Die polnische Art Déco-Malerin Tamara de Lempicka (1898-1980) hatte in den 1920er Jahren großen Erfolg mit ihren ebenso kühl-eleganten wie sinnlichen Darstellungen von modernen Frauen. Die dekorativ gekleideten Schönen steuern schnittige Autos, bewegen sich im elegant gestylten Großstadtambiente oder zeigen selbstbewusst ihre unverhüllten weiblichen Reize.

In der Fotografie ist die Französin Bettina Rheims bekannt für ihren erotisch aufgeladenen weiblichen Blick auf den Körper ihrer Geschlechtsgenossinnen. Rheims sagt: "Ich mache Fotos mit Frauen und für Frauen. Nie würde ich meine Modelle zu etwas zwingen, von dem ich nicht wollte, dass man es mit mir täte." Dieses von Rheims so betonte Primat der Partnerschaftlichkeit unter Frauen gilt sicherlich auch für das Werk von Charlotte Eschenlohr. Und es macht den entscheidenden Unterschied aus: Der weibliche Blick auf den weiblichen Körper ist kein hierarchischer. Die in der Kunstgeschichte immer wiederkehrende soziale Asymmetrie zwischen dem oft älteren männlichen Maler und seinem jungen, oft aus einfachen Verhältnissen stammenden und von ihm ökonomisch abhängigen Modell kommt hier nicht zum Tragen.

Dass die Beschäftigung mit dem weiblichen Künstlerblick gerade zur Zeit wieder einen hohen Stellenwert hat, zeigt der aktuelle Ausstellungsschwerpunkt im Centre Pompidou in Paris. Ein Jahr lang - von Mai 2009 bis Mai 2010 - präsentiert das Ausstellungshaus unter dem Titel "Elles@Centrepompidou" ausschließlich weibliche Künstler aus der eigenen Sammlung.

Eine andere große Malerin beschäftigte sich um die Jahrhundertwende immer wieder mit dem Frauenporträt. Die erdigen Figuren der Worpsweder Malerin Paula Modersohn-Becker (1876-1907) sind jedoch keine Großstadtheldinnen. Obwohl Paula Modersohn-Becker während ihrer wechselvollen Biografie einige prägende Jahre in Paris verbracht hat, spiegeln sich in ihren Porträts eher eine stille Innerlichkeit und das tief empfundene Auf-sich-selbst-Zurückgeworfensein des an der Welt leidenden Individuums. Beides ist stark aus der eigenen Zerrissenheit der Worpsweder Malerin zu erklären.

Ganz anders bei Charlotte Eschenlohr. Ihre Malerei ist expressiv, nach vorne strebend und aufbrechend. Sie arbeitet gegen Widerstände, setzt zeitweiligen Reibungen mit den aufgesuchten Malorten kraftvolle malerische Gesten und Explosionen entgegen. Einengung provoziert produktives Abarbeiten, Rückschläge animieren zu Tatendrang.

Aus dieser optimistisch-kämpferischen Grundhaltung entstanden im Frühjahr 2009 während eines Aufenthaltes in Rom wiederum ganz neue Arbeiten. Charlotte Eschenlohr arbeitete auch in der von antiker Grandezza geprägten Stadt in einem Atelier auf Zeit. Wiederum bildeten das Erkunden und recherchierende Durchstreifen der Stadt am Tiber sowie die Arbeit mit weiblichen Aktmodellen die Basis ihrer künstlerischen Tätigkeit. In Rom registrierte die Künstlerin die eklatanten Unterschiede zwischen der pulsierenden US-Metropole New York und der "ewigen Stadt" in Italien. Der unterschiedlich empfundene Freiheitsbegriff der Menschen, speziell der Frauen, die verschiedenen Grundgeschwindigkeiten der beiden Städte und die krassen Gegensätze zwischen den antiken Bauwerken im alten Europa und der futuristischen Wolkenkratzerarchitektur in der Neuen Welt kristallisierten sich sehr schnell für sie heraus. Das hatte natürlich Folgen für die neue Malerei Charlotte Eschenlohrs. Sie beschäftigte sich intensiv mit typisch römischen Sujets. Es enstanden Landschaftsgemälde in intensiver Farbigkeit, frei nach Skizzen im Park der Villa Doria Pamphilij, der grünen Lunge im Westen Roms. Hier fand die Malerin auch Motive für einige Interieur-Gemälde wie etwa "Fontana". Es zeigt einen etwas müde erscheinenden Fisch an einer Brunnenskulptur im Inneren der Villa Doria Pamphilij, aus dessen Maul Wasser spritzt. Dieses klassische Motiv interpretiert sie eher poppig, indem sie es frech mit weißen Akzenten und einem kräftigen Golddekor aufmischt.

Doch auch in Rom beschäftigte Charlotte Eschenlohr sich wieder mit der Figur der aufgeklärten Frau in der Großstadtwelt. Verschiedene Modelle und Frauentypen haben ihren Auftritt auf den explosiv-dynamischen Gemälden. Sie stemmen sich frei und freizügig gegen die Mauern der Stadt. Sie brechen aus und diktieren selbst die Spielregeln. Doch erkämpfte Freiheit kann an Grenzen stoßen.

Das Gemälde "Marne with Red Bag" zeigt einen weiblichen Akt. Der Körper ist nur teilweise zu sehen, oberhalb der Scham ist die Figur abgeschnitten. Die Scham ist entblößt, der Körper wirkt verletzt. In der rechten Hand hält die junge Frau eine rote Handtasche, die sie fast tänzelnd vom Körper abspreizt. Exhibitionismus, Verletzlichkeit und erlittene Brutalität scheinen hier zur Schau gestellt. Gleichzeitig vermittelt die Figur, die trotzig ihre zusammengepressten Beine in die offenen, hohen Schuhe stemmt, eine stolze Haltung des Nicht-Unterkriegen-Lassens. Das Bild ist weder romantisch noch sachlich-anatomisch. Es ist emotional und ausdrucksstark, und es zeigt die Figur in einer ungeschützten Situation. Die Malerin Charlotte Eschenlohr arbeitet nicht mit dem verbergenden Feigenblatt.

Fast schon als kleine Fingerübungen entstehen seit einiger Zeit immer wieder Collagen und Zeichnungen mit vorgefundenen Materialien als Bildträger. Charlotte Eschenlohr wurde in Trödelläden in Brooklyn und auf Flohmärkten in Rom fündig. Sie sammelte dekoratives amerikanisches Geschenkpapier aus den 1950er Jahren, das sie immer wieder als Hintergrund für Frauendarstellungen benutzt. In Rom fand sie verschiedene marmorierte Papiere, die in alter handwerklicher Tradition hergestellt werden, aber auch Einwickelpapier für Obst mit dekorativen Mustern. In ihren neuen Collagen verwendet die Künstlerin all diese Fundstücke aus Papier, aber auch ausgeschnittene Teile eigener Fotos, die sie in mehreren Schichten aufklebt, übermalt und collagierend zu ganz neuen Bildwelten zusammenfügt. Die verschiedenen Frauenfiguren tauchen auch hier immer wieder auf, oftmals spielerisch und keck, beispielsweise eine Nackte als freche Dekoration in einem Campariglas - eine Anspielung auf die aufreizenden Inszenierungen der amerikanischen New Burlesque-Tänzerin Dita von Teese. Dolce Vita mit Side-Effect.

Die Erforschung der Weiblichkeit in verschiedenen Ländern durchzieht konsequent das malerische und zeichnerische Werk Charlotte Eschenlohrs. Ihr Projekt Atelier auf Zeit bisher mit Stationen in New York, Berlin und Rom ist noch längst nicht abgeschlossen. Von der Basisstation München ausgehend, plant die Künstlerin weitere temporäre Aufenthalte in europäischen und amerikanischen Städten. Experimente und Konfrontationen, neue Eindrücke und Widerstände, neue Orte und neue Menschen bilden den Ausgangspunkt für weitere malerische Erkundungen. New York is a woman. Rom ist nicht immer eine offene Stadt. Die Kunstlandkarte hält noch viele weitere Ziele bereit.