Die goldenen Schuhe

Lässig abgestreift ruhen sie auf dem Fußboden, die goldenen Schuhe. Glänzende Stilettos, die stellvertretend für eine durchtanzte Nacht stehen, für ein rauschendes Fest mit Freunden oder einen ausgelassenen Abend mit Beats und Sounds. „Boxing Hall“ lautet der Titel eines der großformatigsten Gemälde der Münchner Malerin Charlotte Eschenlohr. Jenes Paar Schuhe nimmt darauf den entscheidenen Teil des Bildraumes ein. Sie wurden augenscheinlich auf dem Boden eines riesigen, nahezu leeren, atelierartigen Raumes abgestreift, der flächig und fast abstrahierend mit wenigen, beherzt gesetzten Pinselstrichen auf die Leinwand gebracht wurde. „Put on your red shoes and dance the blues“, aus David Bowies Achtziger-Jahre-Hit „Let`s Dance“ mag einem da im Ohr klingen. Die auffälligen Schuhe stehen Pars pro toto für eine selbstbewusste, selbstbestimmt agierende Frau, vielleicht eine Femme fatale, vielleicht aber auch eine Cinderella-Gestalt im Befreiungstaumel, die in dieser ausgelassenen, durchtanzten Nacht in Ekstase geraten ist. Sie fungieren auf dem Bild als dezidiertes Symbol von Weiblichkeit, Sexualität und dem Gefühl femininer Dominanz über das starke Geschlecht. „Mit den Waffen einer Frau“ - dieses geflügelte Wort trifft auf viele im Berufsleben erfolgreiche Frauen zu. In seiner schrillen Kriminalkomödie „High Heels - Die Waffen einer Frau“ (1991) führte ja bereits der spanische Filmemacher Pedro Almodóvar vor, wie sich starke Frauen in widrigen Situationen selbstbewusst zu Wehr setzten.

High Heels - Cool Ladies: In der Malerei von Charlotte Eschenlohr nimmt die weibliche Figur eine zentrale Rolle ein. Während ihrer Studienaufenthalte in New York, Salzburg und Berlin arbeitete sie in den letzten Jahren vorzugsweise mit weiblichen Aktmodellen. Mal lässt sie die jungen Frauen selbstversunken im Sessel posieren, mal stolzieren sie - fast schon klassisch - eine Treppe herab, dann wiederum platziert sie sie auf einer Brooklyner Dachterrasse mit traumhaftem Blick auf die imposante Skyline von Manhattan. Eschenlohrs Frauen wirken natürlich. Sie scheinen auf eine entspannte Weise in der sie umgebenden Welt verwurzelt zu sein. Ihre Nacktheit wirkt fast selbstverständlich. Sie behaupten sich sowohl in ihrer häuslichen Umgebung, als auch in ihrem gesellschaftlichen Umfeld oder in dem lärmenden Tohuwabohu der Großstadt. Wenn sie einmal verzweifeln, reagieren sie mit Trotz und Souveränität. Sie bewahren Haltung. Mit der Zeit haben sie sich ein stabiles Rückgrat zugelegt.

Starke Frauen haben ihren festen Platz sowohl in der Kunst- als auch in der Literaturgeschichte. Die in Brooklyn lebende Schriftstellerin Siri Hustvedt erzählt in ihrem 2003 erschienenen Künstlerroman „Was ich liebte“ die Geschichte von zwei schicksalhaft miteinander verbundenen Familien, die in der New Yorker Kunstszene zwischen 1975 und heute agieren. In endlosen Gesprächen und Debatten, die die unkonventionellen Protagonisten über Kunst und Kunstwerke führen, geht es an einer Stelle auch um das Werk und den Betrachter. Dort heißt es: „Doch der Raum, den der Betrachter einnimmt, gehört auch dem Maler. Der Betrachter steht an der gleichen Stelle wie der Maler und schaut ein Selbstporträt an, doch was er oder sie sieht, ist nicht das Bild des Mannes, der das Gemälde unten rechts signiert hat, sondern das von jemand anderem: einer Frau.“ Und weiter: „Frauen auf Gemälden anzuschauen ist eine altvertraute erotische Konvention, die im Prinzip jeden Betrachter in einen von sexueller Eroberung träumenden Mann verwandelt. Unzählige bedeutende Männer haben Bilder von Frauen gemalt, die die Phantasie anregen - Giorgione, Rubens, Vermeer, Manet -, doch soweit ich weiß, hat noch kein einziger männlicher Maler dem Betrachter jemals kundgetan, dass er selbst die Frau sei.“ Auf diese Betrachtung antwortet Erica, die Frau des Ich-Erzählers, des Kunsthistorikers Leo Hertzberg: „In Wahrheit haben wir doch alle einen Mann und eine Frau in uns.“ Und weiter: „Schließlich sind wir aus einer Mutter und einem Vater entstanden. Wenn ich mir das Bild einer schönen Frau mit Sexappeal anschaue, bin ich immer zugleich sie und die Person, die sie anschaut. Man muss beides sein, sonst passiert nichts.“

Das facettenreiche Wechselspiel zwischen Maler, Betrachter und Modell erfährt auch auf den Bildern von Charlotte Eschenlohr eine besondere Dynamik. Interessant wird diese Beziehungskonstellation besonders, wenn man ein Gemälde betrachtet, das in New York entstand, und auf dem eine Madonna dargestellt ist. Die Herkunft dieser Heiligenfigur ist relativ profan. Charlotte Eschenlohr entdeckte die Statue im Garten eines Diners in Brooklyn und entschied spontan, sie als Motiv für ein Gemälde zu verwenden. Nun malt sie aber keine typische, milde lächelnde, anmutige Madonna, wie sie in der christlichen Ikonographie im konventionellen Sinne dargestellt wird. Zwar taucht auf dem Gemälde „Madonna“ das Lamm als Attribut auf, wird hier dann aber eher als eine Art Bambi à la Walt Disney amerikanisiert. Entscheidend ist jedoch die Madonna selbst.

Sie erscheint als Geist - bedrohlich, unheimlich, entrückt und fremd. Die schutzgebende Mutter Gottes hat offenbar ein Geheimnis - sie wird zur mysteriösen Hüllengestalt und ebnet den Weg zu einer neu empfundenen Weiblichkeit - jenseits von Katholizismus, Kirche und klösterlicher Strenge. Der Pinselstrich als Befreiungsschlag, der malerische Gestus setzt ein dickes Ausrufezeichen.

Für Charlotte-Eschenlohr ist der Akt des Malens an sich entscheidend und charakteristisch für ihr Werk. Da wird nicht abgezirkelt, abgemessen, projiziert oder minutiös nach Vorlage gemalt. Das Malen passiert eher intuitiv, mit großer Verve und großer Geste, schwungvoll, dynamisch und expressiv. Nächtliche Malsessions mit vehement aufgetragener Farbe wechseln sich ab mit ruhigeren Sitzungen am Zeichentisch. Auch hier arbeitet Eschenlohr gerne mit Modellen. Die skizzenhaften Zeichnungen in verschiedenen Techniken und Formaten versteht sie als Vorstudien zu ihren Gemälden, aber auch als ein Einfühlen und Annähern an die verschiedenen Milieus und Personen, die sie später auf die Leinwand bringen wird. So sind im Laufe der letzten Jahre über 1000 Zeichnungen entstanden, die alle lose miteinander zusammenhängen und sich durch einen forcierten, eher reduzierten Zeichenstrich und den sparsamen Einsatz von Farbe auszeichnen.

Die explosive Farbigkeit auf den Gemälden hingegen ist offenkundig. Hier tauchen kaum Erdtöne oder Naturfarben auf. Kein moorig-schaler Grundton wie auf den Gemälden der Worpsweder Malerin Paula Modersohn-Becker herrscht vor. Charlotte Eschenlohr bevorzugt die expressive, laute Farbpalette im Stil der Neuen Wilden: Knallrot und beißendes Neongelb, Giftgrün und tiefes Meerblau, schreiendes Orange und grelles Pink. Farben, wie sie aber auch auf den Werken der expressionistischen Künstlergruppe „Die Brücke“ erscheinen: Emil Noldes Aquarelle und Naturdarstellungen, Max Pechsteins Zirkusszenen oder Ernst Ludwig Kirchners Landschaften weisen eine ähnliche Bandbreite an Farben auf. Manchmal geht Charlotte Eschenlohr in ihrer Farbauswahl jedoch noch weiter, schafft Disharmonien und beißende Kontraste mit mutig gesetzten, kraftvollen Farben, die beim Betrachter zahlreiche Assoziationen wecken: Ein knalliges Rot, das für Blut, Menstruation und Geburt steht, nächtliche Schwarz- und Blautöne, gespickt mit Neonfarben für die metropolitane Skyline von Manhattan, die immer wieder zum bevorzugten Sujet von Charlotte Eschenlohr wird.